Kein Hokuspokus: Hypnose statt Spritze
Eine Schilddrüsenoperation in der Universitätsklinik von Lüttich: Ein Bericht über Narkoseärztin Marie Faymonville. Hypnotische Trance beeinflusst das Schmerzempfinden, das weiß man seit Jahrhunderten. Schamanen, Medizinmänner und Fakire nutzten und nutzen sie zu diesem Zweck, bei anderen oder bei sich selbst. Jedoch haftet der Hypnose hartnäckig das Image von Voodoo oder Varieté an. Dabei nutzt die Medizin schon seit 20 Jahren Hypnose als Narkosemethode. In Deutschland sind es vor allem Zahnärzte, die Hypnose bei Angstpatienten oder bei Menschen anwenden, die gegen die üblichen Betäubungsmittel allergisch sind. Selbst chirurgische Eingriffe an Kiefer und Gesicht kann man damit vornehmen, wie an der Uniklinik in Lübeck. Die Hypnose hat hier ein enormes Potenzial, bisher in Deutschland allerdings kaum genutzt. Doch an der Universitätsklinik in Lüttich in Belgien hat die Narkoseärztin Marie-Elisabeth Faymonville Hypnose bereits rund 5.000 Mal bei verschiedenen Operationen erfolgreich eingesetzt. Dass es klappt, beweist die Zahl der erfolgreichen Eingriffe - warum und wie genau es funktioniert, untersucht die Ärztin an der Universität Lüttich gemeinsam mit einem Team von Hirnforschern.
Schmerzen für die Wissenschaft
Im PET messen die belgischen Forscher, welche Hirnregionen bei der Schmerzverarbeitung besonders aktiv sindvergrößern Die freiwilligen Probanden müssen sich zuerst einer recht unangenehmen Prozedur unterziehen: mit einer kleinen Elektrode auf dem Arm wird ihnen schmerzhaft eingeheizt. So finden die Forscher die individuelle Schmerzgrenze jedes einzelnen heraus. Im Durchschnitt sind 48,5 C nötig, damit es richtig weh tut. Ohne Ablenkung, im normalen Wachzustand, bewerten die Probanden diesen Schmerz auf einer Skala von 1 bis 10 im Schnitt zwischen 6 und 7. Diesen Schmerzreiz fügen Faymonville und ihr Team den Probanden einige Male zu, während die Testpersonen in einem Positronenemissionstomographen, kurz PET, liegen. Mit diesem Gerät können die Wissenschaftler messen, welche Hirnregionen während der Verarbeitung der Schmerzreize besonders aktiv sind. In zwei Kontrollversuchen sollen die Probanden sich während der Prozedur entweder einfach nur entspannen oder sich intensiv an ein schönes Erlebnis erinnern, zum Beispiel aus ihrem letzten Urlaub. Nach dem Versuch sollen sie bewerten, wie intensiv der Schmerz für sie war, und wie unangenehm sie ihn empfunden haben. In beiden Kategorien geben die Testpersonen dem Reiz im Schnitt die gleiche Punktzahl wie im Vorversuch.
Alles nur noch halb so schlimm
Marie-Elisabeth Faymonville hypnotisiert ihre Testperson bevor der Schmerzreiz kommt. Die Folge: er wird kaum noch wahrgenommenvergrößern Dann kommt das Hypnoseexperiment: Marie-Elisabeth Faymonville hilft ihren Probanden zunächst, in eine hypnotische Trance hinüber zu gleiten. Es ist ein Vorurteil, dass der Hypnotiseur bei der Hypnose sein "Medium" als passives Objekt in Trance versetzt und ihm dann womöglich seinen Willen aufzwingen kann. Jemanden gegen seinen Willen zu hypnotisieren ist unmöglich. Während der Hypnose ist der Hypnotisierte bei Bewusstsein und keineswegs ohne jede Kontrolle über sich selbst. Er ist aber in einem anderen Bewusstseinszustand, sein mentaler Fokus ist nicht im Hier und Jetzt, sondern in der Situation, in die er sich vom Hypnotiseur hat führen lassen. Er sieht, hört und fühlt alle Sinneseindrücke aus dieser Situation so, als würden sie in diesem Moment passieren. Das haben Gehirnmessungen an zahlreichen Testpersonen gezeigt. Die Realität verschwindet für den Hypnotisierten dabei nicht völlig, sie wird aber stark zurückgedrängt. Mit einem Scanner für die Augenbewegungen testet Marie-Elisabeth Faymonville, ob ihre Probanden tatsächlich in hypnotischer Trance sind und dann kommt wieder die kleine Heizelektrode zum Einsatz, ein erneuter kleiner Schmerz. Doch unter Hypnose empfinden ihn die Probanden im Durchschnitt in punkto Intensität nur 2 3 auf der Skala, im Vergleich zu vorher 6 bis 7 Punkten. Was die Bewertung als unangenehm angeht, stufen sie ihn sogar nur mit 2 ein.
Ins Gehirn geschaut
Faymonville und ihre Kollegen haben inzwischen schon viele Probanden getestet. Aus den Ergebnissen entstand eine Modellvorstellung dafür, was unter Hypnose im Gehirn passiert, wenn dort Schmerzreize eintreffen und verarbeitet werden: Im normalen Wachzustand laufen Schmerzreize aus dem Körper über das Rückenmark ins Gehirn und landen dort zuerst in einer Region im Zwischenhirn, die auch als "Tor zum Bewusstsein" bezeichnet wird, im so genannten Thalamus. Von dort aus gelangen sie in höhere Hirnzentren. Ist man in Hypnose, wenn ein Schmerzreiz eintrifft, werden zusätzlich zwei Regionen in einem anderen Bereich des Gehirns besonders aktiviert, nämlich im so genannten limbischen System. Sie liegen im so genannten cingulären Cortex und werden als pACC und aMCC bezeichnet. Der pACC hat eine intensive Verbindung zur Zentrale der körpereigenen Schmerzabwehr im Stammhirn. Er schickt unter Hypnose verstärkt Nervenimpulse dort hin.
Schmerz wird unter Hypnose anders bewertet
Die Vorgänge im Gehirn bei der Schmerzwahrnehmung unter Hypnose Die köpereigene Schmerzabwehr wird dadurch aktiviert, sie sendet hemmende Nervenimpulse hinunter ins Rückenmark und sorgt für die Ausschüttung körpereigener Schmerzmittel, so genannter endogener Opiate. Das Ergebnis: weniger Schmerzreize dringen bis zum Gehirn durch. Und was an Schmerzreizen noch dort ankommt, wird anders verarbeitet. Denn kurz nachdem durch die Hypnose die zweite Region im limbischen System, der aMCC, verstärkt aktiviert wird, erhöhen auch zahlreiche andere Zentren im Gehirn ihre Aktivität. Es handelt sich dabei um Regionen, die dafür zuständig sind, wie der Schmerz wahrgenommen und erkannt wird, wie er emotional bewertet wird und ob bzw. wie der Körper darauf reagiert. Ihre erhöhte Aktivität hat zur Folge, dass das Bewusstsein dem Schmerz unter Hypnose weniger Bedeutung zumisst als im normalen Wachzustand. Zurzeit untersucht das Lütticher Forscherteam, wie diese einzelnen Hirnregionen bei der Schmerzwahrnehmung unter Hypnose genau zusammenspielen.
Ismeni Walter